:DER STAATSBESUCH:

Reportage.

Zeichnung : Derweil in Radschistan

"Radschistan" (30x21, Buntstift auf Papier) © Dietmar Burdinski

Hallo liebe Hörer, herzlich willkommen, hier auf der proppenvollen Zuschauertribüne des Bundespräsidentenpalastes.
Die Spannung ist bis zum Zerreißen gespannt und das Wetter überragend.
Kein Wunder, denn heute ist Staatsbesuch. Heute kommt der Diktator von Radschistan. Und da ist er auch schon. Elegant schält sich der Diktator aus dem Fahrersitz seines roten Ferrari, er winkt und wirkt erstaunlich frisch, kaum gezeichnet von der langen Autoreise quer durch die Steppen und Sümpfe Mittelasiens.
Und durch Rumänien.

Der Diktator trägt landestypische Tracht: Kampfanzug. Schnauzbart. Pistole.
Da kann ich nur sagen: Hoffentlich wird der Diktator nicht provoziert. Aber weiter: Auf der Schulter des Staatsmannes sitzt ein in Klarsichtfolie eingepacktes Halbäffchen und neben ihm geht, ich möchte fast sagen: schwebt, seine Gemahlin, die Prinzessin von Abchasien, zauberhaft schön in Partnertracht, aber ohne Schnäuzer und Schusswaffe.
Dafür mit Blindenstock, dunkler Brille sowie gelber Schärpe mit drei schwarzen Punkten: die perfekte Tarnung. Niemand darf wissen, dass die Prinzessin taub ist!

Nun schreitet das Diktatorenpaar Arm in Arm die schwanenweiße Marmortreppe empor. Oben steht Bundespräsident Otto Kühlmann nebst Gattin.
Sie im gutgemeinten grünen Hutkostüm samt Krokotasche, anders der Bundespräsident:
Weißer Seidenanzug von Boss, schwarz-weiße Pradaschuhe und die Haare von Udo Walz nach hinten gekämmt. Ja, alles vom feinsten. Niemand soll sehen, dass den Bundespräsidenten Hämorrhiden quälen.

Und es sieht auch niemand -- heiteren Schrittes geht der Bundespräsident dem Gästepaar treppabwärts entgegen, reicht dem Diktator seine Begrüßungshand, flüstert der Prinzessin etwas ins Ohr, vielleicht ein paar Anzüglichkeiten, wir kennen ja Kühlmann, vielleicht wieder Staatsgeheimnisse, Kühlmann kann ja nichts für sich behalten...aber was soll´s, die Prinzessin hört ja eh nichts. Doch sie schaut, schaut durch ihre Blindenbrille auf die hellblaue Krawatte des Bundespräsidenten, die mit kleinen Bananen bestickt ist. Prompt hüpft das Äffchen des Diktators aufgeregt krächzend auf dessen Schulter umher, will mit der Krawatte spielen. Doch das geht nicht, denn das Äffchen ist ja in Cellophan eingepackt. Das Verhalten des Tieres macht jedoch Frau Bundespräsident nervös, die bisher eher apathisch im Abseits stand, nun aber zuckend und geifernd böse Wörter ruft: Scheiße Scheiße Scheiße...ich muss das alles so wiedergeben liebe Hörer, so will es das Protokoll.

Aber was ist das?

Frau Kühlmann drischt mit ihrer Tasche auf das Äffchen ein, das fällt zu Boden, Frau Kühlmann prügelt weiter -- ja eindeutig, sie hat wieder einen Wutausbruch. Jetzt lässt sie ab vom Äffchen und – mein Gott! -- schreit den Diktator an!
Der nestelt nervös an seiner Pistole rum, zieht, schießt!...aber vorbei!..vorbei!
Ui, das war knapp.
Die First Lady beruhigt sich.
Der Diktator steckt seine Waffe zurück ins Holster und auch das Tierchen in seiner zerfledderten Cellophanumhüllung hockt ganz brav auf der Treppe.

Alles ist wieder gut. Stille kehrt ein. Die deutsche Hymne. Otto Kühlmann ist ergriffen. Er weint. Dann weinen auch die Staatsgäste. Radschistan hat keine Hymne. Beide Länder umarmen einander.
Eine bewegende Szene.
Doch nun, endlich! Die Staatsgeschenke werden ausgepackt.
Und, keine Überraschung: das Halbäffchen für Deutschland, und, recht pfiffig, ein Bund Radieschen für Radschistan.

Ja, Radschistan hat keine Bodenschätze.
Nun schlendern alle auf der Marmortreppe umher, plaudern über ihre Beziehungen und schon macht der Bundespräsident das offizielle Pressefoto. Ein wunderbares Bild!
Doch was macht Otto Kühlmann nun? Er zwinkert der Prinzessin zu, öffnet seine Hose, schließt sie wieder: die Andeutung eines brillanten Scherzes – ja, es herrscht eine heitere Athmosphäre, kein Wunder bei der allseits beliebten Freundschaft Deutschlands und Radschistans.

Liebe Hörer, kurz etwas zur Geschichte Radschistans.
Die Republik Radschistan stammt aus dem Nachlass von Commandante Ramirez.
Doch genug der Historie, zurück zum Staatsbesuch.
Ein kleines blondes Mädchen überreicht dem Diktator einen Strauß Maiglöckchen. Der Staatsbesuch streicht dem Kind übers Haar. Jubel brandet auf. Der Herrscher geht zur Zuschauertribüne und nimmt seine Huldigung entgegen.
Dann tröstet er die Eltern des unbekannten Soldaten.
Mit Maiglöckchen. Und Radieschen. Bravo! Das ist nun wirklich einmal ein Despot zum Anfassen, ein Diktator der Herzen!
In perfektem Stechschritt geht der Mann aus Radschistan nun zur Treppenmitte zurück. Dort zündet er einen Kanonenschlag. Bum!!

Damit ist der offizielle Teil des Staatsbesuches beendet.
Jetzt beginnt das Vergnügen.
Der Diktator schießt auf die Torwand - bis das Magazin seiner Pistole leer ist.
Danach: Abschreiten des Kalten Bufetts. Am Ende der Tafel: Stille.
Der Diktator konzentriert sich. Er hat nun eine Sekunde Zeit möglichst viele der angebotenen Speisen aufzuzählen.
Die bekommt er als Proviant für die Rückreise mit. Und jetzt fängt er an:

Sushi! Und aus. Die Zeit ist um. Ein Röllchen Sushi.
Ja, da hat sich der Staatsbesuch für Radschistan doch gelohnt.
Dies das Fazit dieses Tages, und das müssen wir jetzt ziehen, liebe Hörer, denn während der Bundespräsident das tut, was er immer tut, wenn er keine Lust mehr hat, nämlich sich gelangweilt am Po zu kratzten, hat die First Lady schon wieder den irren Blick, hat wohl den Verlust des rohen Fisches für Deutschland noch nicht ganz verkraftet.
Höchste Eisenbahn den Besuch zu beenden.

Während die First Lady mit hochrotem Kopf zurückbleibt, bringt Otto Kühlmann seine Gäste zum Ferrari, reicht das Sushiröllchen auf einem Pappteller in den Wagen und wünscht taschentuchwedelnd eine unfallfreie Heimreise.
Der Herrscher fährt winkend los, die Prinzessin durchschaut lächelnd ihre Blindenbrille...und jetzt verschwindet der Wagen im Berufsverkehr.
Der Staatsbesuch ist aus.
Lieber Diktator, liebe Prinzessin, alles Gute und kommt recht bald wieder.
Euer Staatsbesuch war ein voller Erfolg!

[© Dietmar Burdinski]

:ALLE TEXTE: